Jubiläumsinterview: „25 Jahre Dentists for Africa“

Veranstaltungshinweis: Gesprächsabende mit Dr. Schinkel und Sister Seraphine in Sömmerda und Weimar
September 2, 2024

Jubiläumsinterview: „25 Jahre Dentists for Africa“

Der Zahnarzt Dr. Hans-Joachim Schinkel aus Thüringen leistete in den 90er Jahren Hilfseinsätze in Brasilien. Diese prägten ihn so, dass er beschloss, selbst einen Verein zu gründen. Sein Ziel: bedürftigen Menschen Zugang zu zahnmedizinischer Behandlung ermöglichen. Aus der Idee wurde 1999 Realität – mehr als 900 deutsche Ehrenamtliche leisteten seitdem Einsätze im zahnärztlichen und sozialen Bereich und behandelten mehr als 1 Million Patienten. 1.247 Waisenkinder konnten sich dank Förderung ihrer Schul- und Berufsausbildung eine eigene Zukunft aufbauen, viele davon im zahnärztlichen Bereich oder in der Mitarbeit bei Dentists for Africa Kenia. Dr. Schinkel erinnert sich im Interview mit Anne-Kristin Henker und Clara Wiest an Meilensteine, Entwicklungen, Herausforderungen und Perspektiven.

Warum wolltest Du damals selbst einen Verein gründen?

Ich hatte in den 90er Jahren zweimal die Gelegenheit, Hilfseinsätze in Brasilien zu absolvieren. Dieser Ansatz hat mich innerlich angesprochen: Ich kann durch meinen Beruf in einem anderen Land etwas bewegen und Menschen anbieten, von mir und meinem Beruf zu profitieren. Und ich kann durch das, was ich gelernt habe, einen Beitrag für Gerechtigkeit auf der Welt leisten. An dem Projekt in Brasilien hat mir jedoch die Nachhaltigkeit gefehlt. Deshalb wollte ich etwas Eigenes machen.

Durch die Vermittlung der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn nahmst Du Kontakt zu einem Franziskanerorden in Kenia auf und gründetest die „Aktionsgemeinschaft Zahnarzthilfe Kenya e.V.“, aus der 2008 „Dentists for Africa“ wurde. Wann ging es los?

Noch im Jahr der Vereinsgründung, 1999, haben wir einen Container gepackt mit zahnärztlicher Ausrüstung und nach Kenia geschickt. Und im Jahr 2000 haben wir die erste zahnärztliche Station in Nyabondo in Westkenia aufgebaut. Als diese stand, haben wir Einsatzleistende gesucht. Ende 2000 sind dann die ersten Einsatzleistenden nach Kenia geflogen, um dort zu arbeiten.

Schon bald kam es zur Ausweitung der Aktivitäten auf den sozialen Bereich.

Die Hauptsorge der Kenianer war meistens die Frage, wie ihre Kinder zur Schule gehen können. Und wie können vor allen Dingen die vielen Waisen zur Schule gehen, die in Folge der Aids-Pandemie zurückgelassen sind? Was uns als Einsatzleistende vor Ort wirklich persönlich betroffen gemacht hat, war die Not der Kinder. So kam die Idee auf, besonders von Seite des Hamburger Zahnarztes Dr. Ulrich Happ, das Patenschaftsprojekt zu gründen. Als dritter Projektpfeiler kam 2008 die Witwenkooperative St. Monica Village hinzu.

Kannst Du ein besonders bewegendes Erlebnis aus den letzten 25 Jahren teilen?

Schon der erste Patient, den ich behandelt habe, hat mich tief bewegt.  Er kam und sagte, dass er schon seit drei Jahren Zahnschmerzen habe. Viele Menschen standen um den Behandlungsstuhl herum und waren neugierig. Innerhalb von einer Minute konnte ich den schmerzenden Zahn entfernen und so sein Problem lösen. Das hat mir auch selbst viel Motivation gegeben. Solche Dinge sind für mich als Zahnarzt eigentlich nicht erwähnenswert und zeigen: Man muss einfach nur machen.

Was waren aus Deiner Sicht die größten Herausforderungen in diesen Jahren, um die selbstgefassten Ziele zu erreichen?

Am Anfang war es die eingeschränkte Kommunikation mit den Kenianern: Am Telefon musste man sich verbinden lassen, es gab noch keine E-Mail, die schriftliche Kommunikation war für die Kenianer nicht der natürliche Kommunikationskanal. So richtig konnte man die Dinge nur vor Ort besprechen. Das hat sich maßgeblich verbessert. Heute können wir viel direkter kommunizieren. Bis heute ist jedoch das Gespräch – am besten von Auge zu Auge – das beste Mittel der Wahl.

Es war auch eine gewisse Zeit notwendig, um zu verstehen, wie bestimmte Dinge in Kenia funktionieren. Die Kenianer leben – wie die meisten Menschen in Afrika – mit großer Beziehungskraft und in Verbundenheit mit ihren Mitmenschen und der Natur. Durch diesen Lernprozess ist das Verständnis füreinander gewachsen – wechselseitig. Durch das Kennenlernen der Bedingungen sind auch die Wertschätzung der Menschen vor Ort gewachsen, der Respekt und das Verständnis für manche Entscheidungen, die vor Ort getroffen werden und die wir nicht so auf unserem Schirm haben. Wir verstehen, dass die Kenianer Experten in ihrem Land sind und nicht wir! Das bedeutet auch: Ihre Probleme können sie nur selbst lösen und sie haben die Kompetenz für Lösungen. Unsere vielen guten Ideen sind nur etwas wert, wenn sie möglichst von den Kenianern selbst kommen und mit ihren eigenen Ideen übereinstimmen. Man kann es abgleichen und miteinander sprechen, aber das ist der Grundgedanke, den man verstehen muss.

 

 

Dentists for Africa hat den Anspruch, nachhaltig zu unterstützen. Wie wird das ganz konkret umgesetzt?

Da gibt es etwa den Educational Fund: Hier zahlen die Patenkinder, die die schulische und berufliche Ausbildung abgeschlossen haben und selbst Geld verdienen, 10 Prozent der Fördersumme, die sie von uns erhalten haben, Schritt für Schritt ein. Von diesem Geld können weitere Waisenkinder in Kenia, die auch von ihnen selbst ausgesucht werden, gefördert werden – wie in einem Schneeballsystem. Mittlerweile werden 29 Waisenkinder von Kenianern unterstützt!

Auch in den anderen Projekten wird die Nachhaltigkeit deutlich – wenn man etwa sieht, wie die Witwen das Wissen aus den von uns unterstützten Seminaren umsetzen und ihre Rechte wahrnehmen, mit einem Cateringservice ihr eigenes Geld verdienen und davon u.a. Angestellte bezahlen können oder neue Anbaumöglichkeiten ausprobieren und damit ihre Erträge steigern. Auf diese Weise Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, macht uns sehr stolz.

Was bleibt eine Herausforderung in der Zusammenarbeit mit den Projektpartnern?

Wir müssen ihre Strukturen und Beziehungen zur Kenntnis nehmen und lernen, sie zu verstehen. Und: Es ist utopisch ein Endziel zu erwarten. Das wird nicht kommen. Wir müssen unsere Projekte als Prozess sehen, der fortwährend ist.

25 Jahre sind eine lange Zeit. Wie hat sich die Arbeit von Dentists for Africa im Laufe der Zeit verändert?

Im zahnärztlichen Projekt sind in großen Bereichen Behandler und Techniker Kenianer, nicht mehr Deutsche. Die Einsatzleistenden sind weiterhin wichtig, deren Kompetenz sollte nun darauf liegen, die Arbeit zu organisieren und weiterzubilden.

Das Patenschaftsprojekt hat sich durch die vielen Absolventen selbst entwickelt: Sie übernehmen Verantwortung für ihre Schicksalsgenossen. In der Verwaltung hat sich eine stabile hauptamtliche Struktur entwickelt, die effizient, transparent und entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort agiert. Und im Witwenprojekt kann man nur staunen, wie im Laufe der zwei Jahrzehnte das Selbstbewusstsein der Frauen gewachsen ist. Sie sind strukturierter und organisieren ihre Arbeit im Sinne aller. Sie entwickeln ihre eigenen Projekte und teilen uns ihre eigenen Ideen mit. Durch ihre Eigeninitiative und Stärke setzen die Witwen die Durchsetzung ihrer Rechte in Gang, die sie zwar gesetzlich haben, die aber aufgrund der patriarchalen Struktur nicht tatsächlich umsetzbar sind. Darauf bin ich stolz. Das geht weiter und ist ein Prozess.

Lesen Sie das komplette Interview: Hier.

Alle Informationen zu 25 Jahre Dentists for Africa finden Sie hier.

 

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